Kunst gibt der starken Empfindung eine Form


Zum Werk des Bildhauers Jan Koberstein

Hinnerk Bodendieck


  Darum gebeten, einen Text über den Künstler Jan Koberstein zu schreiben, fällt mir als erstes eine Präsentation, eine Ausstellung unter freiem Himmel ein, die er vor vielen Jahren am Rande seines Ateliers in Altona zeigte.
  Es handelte sich um eine abgegrenzte Fläche im Gewerbegebiet, die man begehen und sich dabei mit seinen Arbeiten konfrontieren konnte.
  So sehr mich die Skulpturen aus Holz und vor allem Stein beeindruckten, so sehr rührte mich die Art, wie Jan Koberstein den eigentlich unwirtlichen Ort zu seinem gemacht hatte, wie sehr die Parkplatz-Fläche von vielleicht einem viertel Fußball-Feld zu etwas absolut eigenem und unabhängigen geworden war.

  Am Eingang wies ein Schild auf die Möglichkeit, die Skulpturen mit den Händen zu berühren, ihre raue oder glatte Oberfläche zu spüren und die unterschiedlichen Materialien zu erfühlen. Nicht allerdings, ohne sich vorher in einer dort bereit stehenden Schüssel die Hände gewaschen zu haben.
Ich weiß noch, wie mich diese Aufforderung anrührte. Der Künstler lud ein, seine intimen Skulpturen anzufassen – nachdem er selbst jeden Winkel mit den eigenen Händen abgefahren war, um zu erkunden, ob das Material ihm gefolgt war, ob er die Botschaft des Steins verstanden hatte und ob es gelungen war, eine Synthese herzustellen zwischen dem Willen und den Möglichkeiten des Materials und der eigenen Intention.
Die Voraussetzung für diese Erlaubnis war das Waschen der Hände.
Was hatte mich daran so gerührt?

  Die Entscheidung eines Künstlers, seine Arbeit öffentlich zu machen, ist in jedem Fall ein wichtiger und oft schwieriger Schritt.
Das, was in monate-, nicht selten jahrelanger Arbeit im Dialog mit sich selbst entstanden ist, wird aus der eigenen intimen Sphäre des Ateliers, der Werkstatt, in eine Öffentlichkeit entlassen, ob in einen kleinen geladenen Kreis oder ein größeres Publikum. Das Mindeste, vielleicht einzige, was ein Künstler erwarten darf, ist eine Form von Respekt vor diesem Schritt, die Arbeit in den öffentlichen Diskurs zu stellen.

  Diesen Respekt jedoch einzufordern (fern roter Kordeln und piepsender Abstandshalter), dem Publikum ein Ritual anzubieten, wie es sich den Skulpturen würde nähern können, das fand ich ungemein angemessen und es beeindruckt mich noch heute.
Denn es entstand damals tatsächlich eine Atmosphäre der Andacht, des Respekts, der Angemessenheit, wie man sie sich als Künstler, aber auch als Betrachter so häufig in Ausstellungen wünscht.

  Dieses kleine Detail verweist auf einen Wesenszug Jan Kobersteins, der in seinem Glauben an die Kraft des Rituals liegt.
Rituale, von denen er mir erzählte, grenzen seine Arbeit von der Entspannung ab, lassen ihn den Tag begrüßen, einen Ort zu seinem werden und vieles mehr.
Wann sehnt sich der Mensch nach Ritualen, wann schafft er sich selbst welche?
Ich glaube dann, wenn das Leben von starken Empfindungen, von starken Affekten begleitet wird, deren Erleben und nicht selten Durchleiden, eine starke Struktur benötigen, um ihre Kraft aushaltbar und darüber hinaus nutzbar werden zu lassen.

© 2013 Hexenstein Schmoel