Hexenstein Schmoel

Bekenntnisse

von Jan Koberstein
14. Februar 2017


I.
Ich gehe gerne in der Weihnachts- und Osternacht in den Gottesdienst, erst dunkel, dann golden reflektiertes Öl-Lampenlicht. Aufmerksam genieße ich, die Zeit erlischt und der Raum schweigt, alles ist eins und ich bin dabei.
In einer Weihnachtsmette in der Giekauer Kirche imaginierte Pastor Suckow uns in seiner Predigt, Jesus sei jetzt in Plön unterwegs. Später gab er Zwischenbericht, Jesus sei nun in Selent – auf dem Weg zu uns hierher. Wow, was für eine Vorstellung, er hat die schöne Strecke über Lebrade genommen… Nun sei er schon am Seekrug. Ups. Mein Herz pochte, wirklich vorstellbar, dass er käme? Ich saß dicht beim Eingang und als Suckow ihn draußen vor der Kirchentür meinte, „Ich muss ihm jetzt die Tür öffnen“, schoss es mir schweißnass durch den Kopf, „zwei Schritte bis zum Türdrücker“. Der steht ja nicht wirklich draußen, aber wenn jetzt die Tür knarzen würde, käme es da zu Herzinfarkten? Könnten wir den Verherrlichten überhaupt erkennen: „Bist Du es?“ – Kurz, ich hatte nicht den Mut, so vor der Gemeinde zu stehen. Was würde ich auslösen, vielleicht nur Hohn über solche Geschmacklosigkeit?
Es bleibt zwischen Jesus und mir eine unabgeschlossene Tür und eine offene Geschichte.

 

II.
Mit 14 Jahren lernte ich das Glaubensbekenntnis auswendig und wunderte mich über den ausschweifenden Inhalt. Es war damals sicher einer der kleineren Gründe, mich nicht konfirmieren zu lassen.
Beim Besuch eines Gottesdienstes erwarte ich jetzt immer mit neugierigem Grausen diesen Moment, in dem ich schweigend in der vielstimmigen Woge der Gemeinsamkeit stehe. Ich empfinde das Glaubensbekenntnis wie einen Knebelvertrag: Wer hat diesen Text nur formuliert, bei dem der Glaube weit hinter meiner Gewissheit zurückbleibt? Ich glaube nicht an die Heiligkeit der christlichen Kirche, denn sie ist auch ein Unternehmen, das seine Schafe beisammenhalten will und um die weltliche Macht ringt. Es ist perfide, die Spiritualität mit Folgsamkeit zur Kirche zu verknüpfen. War das Glaubensbekenntnis denn nicht reformbedürftig? Wird auf Pontius Pilatus und Jesu Kreuzigung und Auferstehung so herumgeritten, damit ich mich schuldbeladen und gedemütigt fühle vor der Anhäufung Gottes fürchterlicher Macht? Warum wird nicht von der Ermächtigung, meinen eigenen Vertrag abzuschließen, und von meiner Erfüllung, zu der mich Jesus verleitet, gesprochen? Daran glaube ich.

 

III.
Die Inspiration ist das Metier des freien Künstlers. Mir ist der Geist heilig und sehr nahe. Er ist überraschend und impulsiv, manchmal wankelmütig und überbordend, also zutiefst vertrauenswürdig. All die Ideen und Geistesblitze sind nur Vorboten, erst beim Hineinhorchen und tiefen Zustimmen werden wir eins. Wir sind ein mächtiges Duo, das seit Jahren das Zusammenspiel übt und am Hexenstein wächst.
Unbekannte Menschen tauchen auf, wechseln, verschwinden wieder und bilden eine imaginierte Gemeinschaft. Auch bei einer freundschaftlichen Nähe bleibt der Respekt vor der Eigentümlichkeit des anderen. Die Gemeinsamkeit ist ein labiles Pflänzchen, die weder Einheit fordert noch Abgrenzung verträgt.
Unsere sonnabendliche Arbeit verlasse ich meist mit Dank, aber an wen eigentlich? Welchen Gewinn erwarte ich? Wir beginnen ein Kunstwerk und finden uns als KünstlerInnen wieder. Ja, zur Verwandlung soll der Hexenstein taugen. Befreiung und Erlösung am Hexenthema ist mir zu kurz gegriffen. Was ich will, ist der Einzug einer Welt an unserem Bauplatz, in der sich eine andere Realität zeigt, in der ich Wunder wie reife rote Kirschen pflücke, falls mir danach ist. Ich möchte im Gewusel dieser Tage den spirit zulassen, den Geist atmen.

Gedächtnisprotokoll zum Vortrag von Dr. Rolf Schulte am 20. März 2015 im Giekauer Pastorat

von Jan Koberstein
15.04.2015


  Der Vortrag heißt „Hexenverfolgung im protestantischen Schleswig-Holstein“.

  Dr. Rolf Schulte, Historiker aus Kiel, bringt drei Beispiele aus Lütjenburg, Neuhaus und Bendfeld, in denen Frauen teils mit, teils gegen den Rat der juristischen Fakultät aus Rostock verhört, gefoltert und verbrannt wurden. Dorfrat, Stadtrat oder Grafen sind die Prozessführenden. Ankläger bzw. Diffamierende sind oft Mitbürger oder Nachbarn. Arme, alte und alleinstehende Frauen machen die größte Zahl der Verfolgten aus. Sie sind relativ wehrlos und selbst ein Bann aus dem Dorf bedeutet einen Tod auf Raten, da es keinen Sozialstaat gibt. Sind reichere Familienmitglieder „besagt“, wird eher Widerstand gegen die Verfolgung geleistet.

  Die Kirche ist nicht prozessführend, sondern staatliche Gerichte bzw. der Adel für seine Ländereien. Die Kirchen liefern die Argumente, Hexen und Zauberer sowie Zauberinnen zu verfolgen. Nicht wenige Theologen hetzten die Bevölkerung im Gottesdienst auf und bedrängten die weltlichen Regierungen mit ihrem Rat. In der Vorstellung der Kirche im Mittelalter gab es entweder keine Zauberer und Zauberinnen oder sie arbeiteten alleine, während die neue Theologie ab dem 16. Jahrhundert die Hexen erfand und sie als äußerst gefährlich einstufte, da sie im Hexensabbat gemeinsame Kräfte vereinen könnten. Deswegen wird auf die „Besagung“ anderer Hexen beim Verhör großen Wert gelegt. Das konnte leicht zu einer Potenzierung der Hexenprozesse führen und hat in manchen Landstrichen die Bevölkerung um 10 Prozent reduziert. Teilweise wurden dafür Hexenkommissare ernannt.

  Die Hexenverfolgungen fanden nicht im Mittelalter, sondern in der Umbruchzeit der Aufklärung, im 16. bis 18. Jahrhundert, statt. Dr. Schulte konnte anhand eines Diagramms veranschaulichen, dass in der „Kleinen Eiszeit“ die Missernten zu steigenden Roggenpreisen und anschließend zur vermehrten Hexenverfolgung führten. Damit ließen sich Hexen als Sündenböcke verstehen, da sie die Hungersnöte verursacht haben sollten. Mich erinnert das an Brandopfer zur Besänftigung Gottes bzw. der Götter. Auffällig ist, dass in protestantischen Gebieten nur 10 Prozent Männeranteil bei den verbrannten Hexen war, während im Katholischen etwa 25 Prozent Männer betroffen waren. Daraus lässt sich wohl eine besondere Frauenfixierung im Protestantismus erkennen. Viele Argumentationen der Kirche stellen Frauen als besonders teufelanfällig dar.

  Im europäischen Schaubild lässt sich erkennen, dass in Frankreich viele und im heutigen deutschen Raum die meisten Hexenverfolgungen stattfanden. In südlichen Ländern spielte mit der Inquisition die Verfolgung Glaubensabtrünniger eine größere Rolle. Die Ballung in deutschen Landen zeigte sich in speziellen Hexen-Gefängnissen bis hin zu ökonomischeren Hexen-Öfen in Schlesien. Lässt sich daraus eine Kontinuität erkennen, dass im deutschsprachigen Raum Schuldfragen und Reinheitsverletzungen mit gründlicher Vernichtung beantwortet werden? Setzten wir sie fort in den afrikanischen Kolonien mit den Massakern an den Herero und im Holocaust?

  In Rolf Schultes Büchern ist das alles und noch viel mehr nachzulesen:

• Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung 1530-1730 im Alten Reich, Frankfurt u.a. 2000.
• Hexenverfolgung in Schleswig-Holstein vom 16. bis 18. Jahrhundert, Heide 2001.

Pflanzen am Schmoeler Hexenstein

 von Marie-Luise Stiawa

 Jan lud mich ein, die Pflanzen auf dem Erdwall rund um den Schmoeler Hexensteins und ihr Kommen und Gehen im Laufe der Zeit zu beobachten.
 Seine Idee sprach mich an und so fuhren wir heute bei kühlen und sehr windigem Wetter zum Platz.

 Den kreisförmigen, etwa ein Meter hohen Wall, der durch den Aushub aus der Mitte des Platzes entstanden und an einer Seite geöffnet ist, fanden wir über und über blühend vor: wilde Margeriten, duftende Kamille in üppigen Pulks, einzelne Beifußpflanzen und leuchtende Schafgarbe in allen Tönen zwischen Weiß und Lila.
Eine ekstatische Blütenfülle!

 Wann habe ich das letzte Mal soviel Schafgarbe, noch dazu in diesem überraschenden Hell- und Dunkellila, gesehen? Ich kann mich nicht erinnern. Ab und zu in den vergangenen Sommern habe ich noch einzelne blühende Schafgarbenpflanzen gefunden, aber sie scheinen weitgehend aus unserer Landschaft verschwunden zu sein wie so viele andere Wildblumen auch. Eine der ältesten bekannten Heilpflanzen, Achillea millefolium, Heilkraut des Achilles, auch Augenbraue der Venus genannt wegen ihrer zartgefiederten Blättchen.

 Da wächst sie nun, zu Hunderten, aus Samen, die wohl schon Jahrzehnte im Boden geträumt haben. Nun ist ihre Zeit gekommen. Nichts ist auf immer und ewig verloren!

 

Lammershagen, 19. Juni 2014

 

 

Spaziergang mit Uta

Jan Koberstein

25.01.2014


  Uta hat nach langer Zeit den Bauplatz wieder einmal besucht und war vom Fortgang der Arbeiten beeindruckt. Sie begab sich in die Mitte und empfand, dass die negativen Energien der Umgebung sich hier zusammengefunden hätten.

  Das ist für mich eine erfreuliche Nachricht, da der erste Schritt gelungen scheint.
Das negative Potential, das heißt die durch die Hexenverbrennungen ausgelöste Beklemmung, hat sich an diesem Ort eingefunden und zentriert.

Auf dem Spaziergang zum Strand verdeutlichte Uta mir ihre Vorstellung des Bauprozesses.
Es beginnt mit der bedingungslosen Offenlegung der Untaten, der Benennung der Täter und ihrer Handlungen und der Rehabilitierung der Opfer.
Nach der Reintegration der „Hexen“ wäre es ihnen möglich, von Schuldfragen und Schuldzuweisungen abzusehen und den Tätern zu vergeben.
Als dritte Phase könnten wir eine Neukreation von menschlichem Zusammenspiel als Vision entwickeln. Wie könnte das Zusammenleben ohne unterschwelliges Drohgebaren aussehen?

  Ich denke, dass die natürliche Aggression eines Menschen einen offenen Platz in unserer Kommunikation bekommen müsste, damit sie nicht durchs Hintertürchen alle möglichen Situationen vergiftet.

  Ich leide nämlich unter den unausgesprochenen Spannungen meiner eigenen Konflikte.
Ich leide aber auch unter den unausgesprochenen Spannungen der Konflikte von anderen in meiner Gegenwart.
Das Klären von Konflikten bewahrt uns vor abstruser Aggression und überschießender Gewalt.

  Zurück am Bauplatz hat Uta die Idee, die anwesenden Kräfte anzusprechen, dass sie sich zu einer Aufbruchstimmung und Neuentwicklung transformieren.
Das wiederum macht mich nun sogar euphorisch.
Uta gibt liebevoll Deeksha.

 

Uta Koepchen ist Heilpraktikerin für Psychotherapie in Ölböhm.

Warum mir der Schmoeler Hexenstein am Herzen liegt

von Marie-Luise Stiawa

 
  Im Vorfrühling 2012 erfuhr ich von Jan Kobersteins Vorhaben, einen Ort einzurichten, an dem die Frauen, Männer und Kinder gewürdigt werden sollen, die auf den Scheiterhaufen der Inquisition verbrannt wurden. Dieser Ort soll auf dem Land von Gut Schmoel nahe Hohenfelde an der Ostsee sein, weil hier im 17. Jahrhundert Hexenverbrennungen stattgefunden haben.

  Während ich die Nachricht las, wusste ich, daß sie mich betrifft. Nicht nur, weil Gut Schmoel in der Landschaft liegt, in der ich zu Hause bin, sondern vor allem weil sich hier ein Mensch eines Themas annimmt, das mehr als dreihundert Jahre Bestandteil unserer Geschichte war und dennoch unter den Nebeln des Tabus verborgen liegt. Endlich hat einer die Vision und den Mut, dieses dunkle Kapitel so sichtbar ins Licht zu stellen und damit Heilung zu ermöglichen.  

  Die Hexenverbrennungen, die zwischen 1400 und 1775 in dem Gebiet stattfanden, der heute Deutschland heißt, sind ein kollektives und persönliches Thema.

Ich möchte erzählen, warum ich es so wichtig finde, daß es aus der Versenkung geholt wird, und fange mit meiner persönlichen Geschichte an.

  Während meiner Schulzeit zwischen 1960 und 1972 waren die Hexenprozesse kein Thema. Auf eine vage Art und Weise habe ich irgendwann davon Kenntnis bekommen, vielleicht im Religionsunterricht. Ich wusste wenig: daß ein Papst dahinter steckte, daß vor allem Frauen auf den Scheiterhaufen brannten und daß wir Protestanten nichts damit zu tun hatten.

  Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts kam ich mit dem Thema wieder in Berührung: die spirituelle Frauenbewegung hatte sich seiner mit flammendem Forscherinnengeist angenommen. 1984 fiel mir in einer Essener Buchhandlung ein Buchtitel ins Auge: Ich bin eine Hexe. Judith Jannberg (Pseudonym für Gerlinde Schilcher) beschrieb ihre persönlichen Rückführungserlebnisse, die sie zu der Erkenntnis brachten, daß sie in einer ihrer früheren Inkarnationen eine der verbrannten Frauen war und ihre Wiederentdeckung der alten vorchristlichen Naturreligion, in deren Zentrum die Große Mutter steht.

  Das kleine Buch bescherte mir ein tiefgreifendes Erleuchtungserlebnis. Verschwommene Bereiche meines Lebens bekamen plötzlich Bedeutung. Jetzt konnte ich mir erklären, warum ich im Alter von zehn oder elf Jahren jeden Abend im Bett liegend flackernde Flammen um mich herum sah, ihre Hitze fühlte und in Panik erstarrte. Mein Versuch, mit meinem Vater darüber zu sprechen, lief ins Leere: er sah keine Flammen und konnte mir nicht aus meiner Todesangst heraushelfen.

  Gerlinde Schilchers Buch öffnete mir einen Weg, der mich wieder mit der Natur und ihren jahreszeitlichen Rhythmen verband und zugleich mit meinem eigenen weiblichen Körper und seinen Zyklen. Alles war Natur und ich als Menschenfrau ein Teil davon, eine Zelle im Organismus des Großen Ganzen, des Kosmos. Wie schön, wie tröstlich, wie heilend! Welches Heilungspotential in diesem Weltbild liegt, können vielleicht nur die Frauen verstehen, die die bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein reichende mehr oder weniger subtile Geringschätzung des Weiblichen erlebt haben, die auch in der damaligen Gesetzgebung ihren Ausdruck fand und ein schmerzhafter Stachel in den Beziehungen zwischen Frauen und Männern war.

  Die Zeit war reif! Plötzlich tauchten viele Frauen auf, die das Hexenthema aufgriffen und darüber schrieben: Starhawk, Zsuzanna Budapest, Luisa Francia, Ute Schiran, um nur einige zu nennen. Ihr gemeinsamer Nenner: wir sind die (reinkarnierten) Hexen, wir nehmen uns unsere weibliche Macht (die damals verbrannt werden sollte) zurück, wir heilen uns selbst. Es gab damals viele Schuldzuweisungen gegen die Männer, die Kirchen, das Patriarchat.

  Wir schufen uns Räume, in denen Heilung geschehen und eine spezifisch weibliche Kultur wachsen konnte. Wir experimentierten mit Magie, Trancereisen und Ritualen und feierten Mond- und Jahreskreisfeste.

  Irgendwann stand das Hexenthema nicht mehr so sehr im Vordergrund. Die klaren Fronten wurden durchlässiger, mein Wunsch nach Frieden mit den Männern wurde klarer. Von Zeit zu Zeit tauchten die Hexen dann doch wieder auf: kurz nach der Jahrtausendwende bekam ich Besuch vom Pfarrer aus dem Nachbardorf, der die Neuzugezogenen kennenlernen wollte. Ich informierte ihn darüber, daß ich schon vor Jahrzehnten aus der evangelischen Kirche ausgetreten war. Das sich daraus ergebende Gespräch berührte auch die Inquisition und ich erhob schwere Vorwürfe gegen die Kirchen. Der Pfarrer, ein alter, nachdenklicher Mann, der gut zuhören konnte, behauptete nun, die protestantische Kirche habe mit den Hexenprozessen nichts zu tun gehabt.

  Dieser Überzeugung bin ich anschließend einige Male begegnet, zuletzt bei der Vorstellung des Schmoeler Hexenstein-Projektes am 14. März 2012 im Feuerwehrhaus von Schwartbuck. Für einen engagierten Protestanten ist es verständlicherweise schwer erträglich zu erkennen, daß auch die Leute seiner Glaubensrichtung blutige Hände hatten. Wenn Heilung geschehen soll, muss jedoch die ganze Wahrheit auf den Tisch.

  Damit wende ich mich dem kollektiven Thema zu. Die nackten Fakten sind folgende:

-    Zwischen 1400 und 1775 sind in Europa mindestens 100 000, manche sprechen auch von 9 Millionen Menschen als Hexen gefoltert, verurteilt und verbrannt worden. In Holstein gingen die Hexenverfolgungen von 1530 bis 1735.

-    Davon waren 80 Prozent Frauen, die restlichen 20 Prozent Männer und Kinder. Sogar Säuglinge wurden ins Feuer geworfen. In manchen Ortschaften gab es keine Frauen mehr. In Holstein betrug der Frauenanteil sogar 88 Prozent.

-    Die Hexenverfolgungen begannen vor der Reformation und wurden mit dem Erlass der „Hexenbulle“ von Papst Innozenz VII. vom  5. 12.1484 legitimiert. Später beteiligten sich auch die protestantischen Kirchen.

  Von Martin Luther ist folgender Ausspruch überliefert: „Mit Hexen und Zauberern sollte man keine Barmherzigkeit haben. Ich wollte sie selber verbrennen.“ Johann Calvin, Schweizer Reformator, forderte, „daß alle Zauberer in Genf – zur Ehre Gottes – ausgerottet würden.“ 1545 wurde Calvins eigene Mutter als Hexe hingerichtet. Der dänisch-lutherische
Reformator Niels Hemmingsen glaubte an die Existenz von Hexen und ihren Pakt mit dem Teufel. Der lutherische Pastor Samuel Meiger aus Nortorf forderte ein strenges Vorgehen gegen die Hexerei, für ihn „die Mutter aller Sünden“.

  Diese Namen stehen beispielhaft für die vielen protestantischen Kirchenvertreter, die an den Hexenverbrennungen beteiligt waren, indem sie dazu aufriefen und sie theologisch legitimierten.

  In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß es bis heute weder von der katholischen noch den evangelischen Kirchen eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Hexenverfolgungen gegeben hat. Die Vergebungsbitte von Papst Johannes Paul II. war ein halber Schritt in die richtige Richtung, enthielt aber kein Wort zur Mittäterschaft der Kirche.

Die Frage, was zur Verfolgung und Vernichtung von Menschen als Hexen geführt hat, führt zu einer Vielzahl von möglichen Antworten. Ich kann sie an dieser Stelle nur skizzenhaft darstellen:

  Die Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger stellten die These auf, daß die Hexenprozesse eine Reaktion auf die Pest waren, die einen großen Teil der Bevölkerung das Leben kostete. Der katholischen Kirche als damals größter Landeigentümerin fehlten nun die Arbeitskräfte. Die Volksheilkunde lag damals noch überwiegend in den Händen der Frauen, die auch als Hebammen wirkten. Sie kannten Kräuter, mit deren Hilfe eine Empfängnis verhindert und eine Schwangerschaft unterbrochen werden konnte. So waren also die weisen Frauen und Hebammen das erste Angriffsziel der Inquisitoren. Zur gleichen Zeit gingen die Heilbefugnisse in die Hände des sich gerade erst bildenden Ärztestandes über und das Ausüben der Erfahrungsheilkunde ohne staatliche Erlaubnis wurde strafbar. Die heutigen Gesetze zur Ausübung der Heilkunde haben in jener Zeit ihren Ursprung, desgleichen der bis Ende des letzten Jahrhunderts geltende Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs, der viele Frauen zwang, ihr Leben und ihre Gesundheit auf dem Küchentisch einer sogenannten „Engelmacherin“ zu riskieren oder in eine Abtreibungsklinik nach Holland zu fahren.

  Wir können davon ausgehen, daß es eine europäische traditionelle Volksmedizin gab, entsprechend der traditionellen chinesischen Medizin. Überreste davon finden sich noch bei dem mittelalterlichen Arzt Paracelsus, der hervorhob, er habe all sein Wissen von den „weisen Frauen“. Diese alte Heiltradition wurde durch die Inquisition gebrochen. Kaum eine Frau konnte es mehr wagen, ihre Heilkenntnisse zu benutzen und weiter zu geben.

  Die Vertreterinnen der spirituellen Frauenbewegung sahen die Opfer der Inquisition als Vertreterinnen der vorchristlichen Erdreligion, die ihr altes Wissen hüteten sowie ihre überlieferten Rituale abhielten. Für die Kirchen war das subversiv und musste unterbunden werden.

  Ich glaube, daß beide Begründungen viel Wahrheit enthalten. Aber daß die Scheiterhaufen mehr als dreihundert Jahre brannten war meines Erachtens nur möglich, weil ganz normale Menschen – Nachbarn, Bekannte, vielleicht sogar Verwandte – andere der Hexerei bezichtigten und denunzierten.

  In den Prozessakten ist oft von Schadenszaubern die Rede: so gab z. B. eine Kuh keine Milch mehr und eine Frau wurde bezichtigt, das Tier verhext zu haben.
Möglicherweise wehrte sich eine Frau gegen sexuelle Annäherungen und man rächte sich, indem man sie beschuldigte, es mit dem Teufel zu treiben.

  Nach Rolf Schulte kamen die meisten Hexenprozesse mit Todesurteilen in Schleswig-Holstein in Ostholstein vor. Das war eine Region mit vielen Leibeigenen und Besitzlosen. Hier waren harte Arbeit und Hunger an der Tagesordnung. Die Kombination aus Machtlosigkeit und Mangel mag dazu geführt haben, daß man andere, die vermeintlich mehr hatten, der Obrigkeit anzeigte.

  Um den Qualen der Folter zu entgehen, gestanden die Beschuldigten in der Regel alles, was man ihnen zur Last legte.

  Heute brennen die Scheiterhaufen hierzulande nicht mehr. Aber wir, die Nachkommen der gequälten und verbrannten Frauen und Männer tragen die Vergangenheit im Gedächtnis unserer Körperzellen. Es ist wahrscheinlich, daß jede und jeder von uns mindestens ein Opfer der Hexenverfolgungen in ihrer/seiner Ahnenreihe hat. Genau so kann davon ausgegangen werden, daß wir alle wenigstens einen Täter oder eine Täterin unter unseren Vorfahren finden können. Täter waren außer den Inquisitoren, Richtern, Folterern und Henkern auch die Denunziantinnen und Denunzianten. Darüber hinaus müssen auch diejenigen als Täter bezeichnet werden, die die geistige Grundlage für die Hexenprozesse gelegt haben: die Vertreter der katholischen und evangelischen Kirchen.

  Wir wissen, daß  erlebte Gewalt  an nachfolgende Generationen weitergegeben wird.  Nicht nur indem Opfer zu Tätern werden, sondern auch, indem traumatische Erfahrungen im Körpergedächtnis gespeichert und in die Gene eingeprägt werden. Vielleicht macht sich ein Trauma von Mutter oder Großmutter bei Tochter oder Enkelin als Ängstlichkeit oder Gehemmtheit, unerklärliche Panikattacken oder süchtiges Verhalten bemerkbar. Und wie geht es den Nachkommen der Täter? Sie spüren vielleicht, daß ein dunkles Geheimnis in ihrer Familie existiert, etwas nicht Greifbares, Unheimliches.

  Es scheint Gemeinsamkeiten im Umkreis von Tätern und Opfern zu geben: Scham, die Erfahrung von Verrat und das große Schweigen über das Geschehene.

  Die Zeit der Hexenverfolgungen hat uns alle auf irgendeine Weise tief verwundet, sie hat die menschlichen Gemeinschaften nachhaltig vergiftet: tief in unseren Zellen schlummern vergrabene Erinnerungen an Verrat, Folter, Flammentod.

  Jan Koberstein hatte ein tiefes Gespür für unseren kollektiven Schmerz und ein helles Ohr für den Ruf nach Heilung. Offensichtlich hat das Leben ihm den Auftrag gegeben, das Projekt „Schmoeler Hexenstein“ in die Welt zu bringen.

  Sein Vorhaben ist so besonders, weil es von vielen Händen, Herzen und Hirnen gestaltet werden soll und bereits wird. Es fordert dazu auf, sich mit der kollektiven und persönlichen Geschichte von Opfern und Tätern zu beschäftigen, miteinander zu sprechen und einen festen Ort zu schaffen, an dem die gefolterten und verbrannten Frauen, Männer und Kinder gewürdigt werden und vielleicht Versöhnung geschehen kann.

  Möge der Schmoeler Hexenstein ein Ort der Heilung von Schmerz, Schuld und Scham sein.


Lammershagen, im März 2014


Verwendete Quellen

Rolf Schulte – Hexenverfolgungen Holstein, Herzogtum,  27.04.2001 (www.historicum.net)

Gunnar Heinsohn, Otto Steiger – Die Vernichtung der weisen Frauen, München 1987

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