Ein viertel Jahr danach
Das Gewölbe ist aus den 1.200 selbstgestrichenen rohen Ziegeln aufgemauert, eine hitzebeständige Hülle aus Papier und Tonschlicker ist auf eine Unterkonstruktion aus Holzlatten und Hühnerdraht vielschichtig aufgetragen. Sogar einen Lehmbackofen für frische Brötchen und Pizzen haben wir noch gebaut. Die Bauhütte ist vom Telekran angehoben, einen Katzensprung weitergeschwebt und dort zur Bühne ausgebaut worden. Dorothee Fiedler hat ein Programm mit Vorträgen und Musik zusammengetragen und gedruckt: „Feuer verwandelt“.
Während der Vorbereitung für die Tage des Ziegelbrennens um Mittsommer 2017 wundere ich mich zu Hause über Ameisen, die zwischen Türrahmen und Treppenwange ihre Bahn ziehen. Was wollen denn die hier? „Tja“, sagt Uta, „Ameisen symbolisieren Feuer und Wandel.“ Na dann… Dann wird die Ameise eben das Wappentier des Ziegelbrands und in einigen Nachtschichten arrangiere ich alte Fliederäste zu einem Abbild.
21. Juni 2017
Die Ameise hieven wir mit der Kaminhaube zuerst oben hinauf. Sie soll das Feuer führen, das wir daraufhin entfachen. Davor gab es natürlich bürgermeisterliche und künstlerische Reden und die BesucherInnen umkreisten unter den Dudelsackklängen von Jürgen Turkowski das Gelände. Es kreiste auch eine gute Flasche aus Gottesgabe mit dem heiligen Himbeergeist. Meine Ansage, zwei Tage und Nächte langsam anzufeuern, wird mit ameisenhaftem Fleiß beim Holzauflegen weggelächelt. Die erste Pizza wird halbgar und halbheil probiert, doch schon die dritte ist eine Delikatesse.
Am Abend weiht Dieter Kay die Bühne ein und berichtet aus den Lebensläufen der damals verurteilten und verbrannten Menschen. Mancher Familienname ist hier in der Gegend noch zu Hause. Aus Passade kommend spielten die MusikerInnen von „Allerley“ lustig auf und bereiteten uns auf die erste Nacht vor. Der Wind wehte ihnen ungnädig den Rauch des Backofens in Augen und Rachen. Auch war das Wetter dieser Tage durchwachsen von Wind, Regen und Sonne, aber angenehm moderat neben den gleichzeitig wütenden Tornados in Hamburg und Niedersachsen. Man drängte sich mit Hintern oder Bauch an die Ofenhülle und ließ es sich gefallen. Leise und lustige Gespräche an den Feuerlöchern, ab und zu legt man einen Scheit nach und mancher vergisst, dass er nach Hause wollte.
22. Juni 2017
Morgens tauchen aus Autotüren Thermoskannen und Brötchenrohlinge auf und locken mich aus der Hängematte.
Mit Dorothee betrachte ich von der trockenen Bühne das Beregnen des Ofens. Mit Regenschirmen rücken wir zum Holznachlegen aus.
Ingrid hat nachmittags wieder gutes Wetter und Neugierige, die sie auf ihren täglichen Spaziergängen über die damaligen Lebensumstände unterrichtet. Von der ungewöhnlichen Atmosphäre, die hier zwischen den Hexensteinern, den Besuchern und dem Feuer entstand, wurde manche und mancher angesteckt. Ein Obstbrand wurde den Nachtwachen gewidmet, Käte kochte uns täglich etwas zum Mittag, die Liebaus mit den morgendlichen Brötchen schneiderten auch noch Flaggen zum Schmücken der Bäume.
Worauf ich mich an diesem zweiten Abend freuen konnte, wusste ich schon von deren Probe: Eine unserer Ziegelfrauen, Ariane Motsch, hatte aus ihren befreundeten Wohnzimmerchören etwa 20 Frauen und ein paar Männer zum Singen gewonnen. „Meerfrauen und Freunde“ füllten die Bühne und besangen auf vielfältige Weise uns und den Ort. Irgendwann realisiere ich einen ungewöhnlichen Teil des Publikums. Und kaum hatten die Frauen die Bühne verlassen, drängten ebenso viele alte Männer hinauf und schmetterten ihre Lieder und Shanties. Die über 70-jährigen Lausbuben waren aus ihrer „Stakendorfer Liedertafel“ ausgebüchst, um hier einen ungehörig draufzumachen! Nach Konzertende führte das Ausparken auf der Schmoeler Dorfstraße zu einem mehrminütigen Verkehrskollaps, den wir Zurückgebliebenen beim Sonnenuntergang still genießen durften.
23. Juni 2017
Am trüben Morgen löste Niels die nachtwachenden Rudolf und Ruthard ab – und für mich begann ein denkwürdiger Tag.
Unter der Kaminhaube zeigten sich außer Rauch nun auch Feuerzungen. Okay. Die Unterkonstruktion der Ofenhülle war jetzt so erhitzt, dass sie sich schlagartig entzündete. Eine große Feuerblase quoll unter der Ameise hervor. Daran war nichts zu ändern. Auch die Haube fing jetzt Feuer und dann die Ameise. Beklommen und schweigsam begleiteten wir sie beim Brennen, Einbrechen und Nachsacken. Einige verkohlte Äste konnte ich einsammeln – wie Reliquien. Diesen Moment hatten wir erwartet, ohne uns vorzustellen, wie er aussehen würde. Würde die Hülle ohne Unterkonstruktion standhalten und damit den weiteren Aufheizprozess der Ziegel ermöglichen?
48 Stunden nach dem Anzünden zerfiel die Hülle, auch vom Wind zerrüttet. Das Mauerwerk war teilweise zu sehen, die Isolierung dahin und auch ich sackte in mich zusammen. Das Feuer brannte weiter – wozu?
Mit erloschener Zuversicht betrachtete ich ein paar Stunden das Ding, den Ort. Nach Mittag kam Hilmar, hin und her gerissen zwischen Hexenstein und Krankenhaus, wo seine Frau lag. Es gab einen Ruck in uns, wir rissen die spröden Papierreste herunter und nun sahen wir das nackte Gemäuer wie einen Phönix in der Asche stehen. Die Hitze hatte das Grau der Ziegel immerhin in ein rötliches Beige verwandelt. Mit dem getrockneten Beifuß, den Gerhard im Jahr zuvor geerntet hatte, leiteten wir die Wende ein, entfachten wieder die letzte Glut und legten ordentlich auf.
Heute ist Freitag, aber bis Sonntag wird gefeiert und gefeuert. Der Posaunenchor kam und blies einen Giekauer Gruß. „Immer anders“ bezauberte uns mit ihrem liebevoll arrangierten A-capella-Gesang. Die Dämmerung legte einen neuen Zauber frei. Das Feuer war im Gewölbe mittlerweile so heiß und hochgewachsen, dass es aus allen Fugen züngelte wie ein Drachen. Unablässig spie er Funken und Feuerfäden in den nachtschwarzen Himmel. Wir leuchteten im Widerschein, Chor und BesucherInnen sangen noch ein paar Stunden. Die Feuerwache redete irgendwann wirres Zeug (auch ohne Alkohol), lachte hysterisch und ich kippte vorm Feuerloch einfach auf den Boden. Der Ort, an dem ich seit Jahren arbeitete, war mir mit einem Mal ganz fremd. Woanders?
24. Juni 2017
Da meine Sonnenwende jetzt gewesen war, genoss ich einfach das Gewusel und Geschnacke, die Besuche und FreundInnen, die berührenden Lieder von Jan Graf und Christoph Scheffler – und betrachtete die ganze Fülle.
Ayla, Brigitte und Sybille zelebrierten diese schöne Nacht, in der die Sonne nicht nur hinterm Horizont versank, sondern scheinbar auch im Gemäuer nächtigte.
25. Juni 2017
Ein leiser Sonntag folgte, Abreisende, graues Wetter.
Doch zum letzten Scheite-Aufwerfen ertönte überraschend wieder der Dudelsack und lockte so manche Träne hervor.
26. Juni 2017 und später
Am Montag räumten wir auf, achteten aber darauf, nicht fertig zu werden. „Wir können uns doch zum Sonnenuntergang nochmal treffen!“ Ich fiel aber zu Hause in einen apathischen Schlaf und wollte eine Woche keinen mehr sehen.
Am folgenden Sonnabend begutachtete der Statiker Conrad Hansen die Bausubstanz und überließ uns viel Spielraum für die weitere Gestaltung. Zu deren Planung findet Ende des Jahres ein Treffen statt.
Eine imposante Sitzbank wurde schon von einigen Schwartbuckern gespendet!
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Liebe Hexenstein-Freundinnen und -Freunde,
als wir im April die Initialen in die Ziegel einritzten, hatte ich eine kurzfristige Entscheidung ohne Rücksprache getroffen. Wir haben alle Anfangsbuchstaben von den Beteiligten der Hexenprozesse von 1686 und die Anfangsbuchstaben von allen am Schmoeler Hexenstein-Projekt Beteiligten (aller E-Mail-Empfänger, also auch Deine) eingeritzt.
Die Anfrage zum Einritzen hatte nur zu drei Rückmeldungen geführt. Das erschien mir eher als schlechte Wahlbeteiligung als eine ernst gemeinte Nicht-Antwort. Inzwischen weiß ich es besser.
Ich bitte um Verzeihung.
Ich hatte und habe immer noch das Bedürfnis, mich mit Euch unseres gemeinsamen Interesses öffentlich zu versichern, das waren meine Beweggründe. Beim Einritzen habe ich auch noch durch die Vermischung und Uneindeutigkeit der Buchstaben die Verbundenheit zwischen den Ereignissen von 1686 und 2017 empfunden. Das fand ich sehr passend.
Wer seine Initialen nicht auf dem Hexenstein wissen will, melde sich bitte. Es gibt Lösungen.
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Wir können uns nochmal vergewissern, dass und wie der Brand stattgefunden hat. Der Redakteur Ulrich Koglin hatte uns über einige Tage mit seinem Filmteam begleitet. Am Sonntag, den 12. November, sendet der NDR um 20:15 Uhr die „Landpartie“ mit Heike Götz, die die Hohwachter Bucht besuchte und auch zum Hexenstein kam.
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Zur Zeit verfolgen wir die Idee, eine Broschüre oder ein Buch zum Schmoeler Hexenstein zu verfassen – aus Fotos, Zeichnungen und Texten.
Eine Mischung aus Chronik und persönlichen Eindrücken, die in ihrer Machart den Arbeitsprozess widerspiegelt. Christiane hat die Photo-Galerie der Website inzwischen auf den aktuellen Stand gebracht, sodass man sich auch von den Bildern zum Schreiben anregen lassen kann.
Beiträge sind bis zum Ende des Jahres erwünscht.
Cornelia übernimmt die Redaktion.
Jan Koberstein
Tel. 0 43 81 / 91 90 29